Wo treffen wir im städtischen Raum eigentlich noch auf solche handwerkliche Gewerke? Wer produziert noch dort, wo Mieten hoch und Räume knapp sind? Wo der Wunsch nach ruhigen Wohnraum mit geräuschintensiven Arbeiten kollidiert… Und: wo allerorten die Damoklesschwerter „Massenproduktion“ und „Internetshopping“ übergroß herumhängen… Dennoch besteht der Wunsch nach genau solchen urbanen Produktionsstätten. Nach Individualität, Handwerkskunst und Tradition. Insbesondere Stadtentwickler:innen betonen, dass die urbane Produktion sowohl die lokalen Ökonomien als auch die Lebensqualität der Städte stärkt.
Am 13. August stellte das StadtLab Jena in seiner Dialogreihe dieses Thema in den Mittelpunkt. Moderiert wurde die Veranstaltung von Katrin Hitziggrad von der Unternehmeragentur „Die Zukunftsoptimisten“. Sie befragte ihre beiden Gesprächspartner*innen Julia Eschment vom Projekt Auxesia aus Apolda sowie Swen Gottschalk, Unternehmer und Vorstandsmitglied der Initiative Innenstadt Jena zu ihren Standpunkten.
Letzterer hat in den letzten Jahren die Präsentation diverser Manufakturen wieder in Jenas Innenstadt gebracht. Grundlage dafür ist das Konzept des PopUp-Stores. Für ihn ein idealer Ort um: „temporär Kräfte zu bündeln und verschiedenen Produkten einen Raum zu geben.“ Er erklärt: „Dazu mieten wir leerstehende Geschäfte an, in denen wir eine Auswahl an verschiedenen handwerklichen Produkten von kreativen Leuten anbieten. Daneben gibt es aber auch maschinell Produziertes. Dieser Mix macht es so spannend. Die Produkte von kleineren Manufakturen und größeren, industriellen Produzenten stehen hierbei nicht miteinander in Konkurrenz, sondern teilen sich eher einen Kunden. Nicht jeder Produzent muss mehr einzeln dastehen. Vielmehr bildet man ein Team, um seine Produkte anzupreisen. Die Besonderheit ist es, Kräfte zu bündeln, auch was Raumnutzung und Organisation betrifft. Dazu braucht es einen Kopf, der die ganze Sache in die Hand nimmt und die Fäden zusammenführt.“
Auch für Julia Eschment vom Projekt Auxesia spielt Vernetzung eine ausschlaggebende Rolle. Das Apoldaer Bündnis setzt auf innovative Unternehmen, Instituten & ExpertInnen aus den Bereichen Wirtschaft, Forschung, Kultur, Bildung und Politik zusammengeschlossen, um textile Produkte der Region stärker in den Fokus zu rücken. Seit eineinhalb Jahren arbeitet sie dafür an einem umfassenden Konzept, welches u.a. Vertrieb, Tourismus und Innenstadtbelebung bezüglich der lokalen, textilen Strickindustrie verknüpft. Die innerstädtische Produktion gehört für sie zur Identität der Produkte aber auch zur Stadt und den Menschen darin. Dies sieht auch Swen Gottschalk so: „Findet Produktion sichtbar in der Innenstadt statt, bietet dies klare Vorteile. Wenn auch Werkstätten zur Innenstadt gehören, führt das dazu, dass diese auch ein Teil der städtischen Umgebung sind. Wenn ich mitbekomme, was in der eigenen Stadt passiert, fühle und verstehe ich diese auch besser. Wenn ich sehe, wie etwas hergestellt wird, wieviel Aufwand und Kreativität dahinter steckt und welche Probleme sich auftun können, wird mir auch die Wertigkeit dahinter bewusst. Es ist somit wichtig, Dinge des Lebens auch zentral herzustellen. So erhält man eine Wertschätzung zum Produkt aber auch zum Arbeitsprozess. Man ist vielleicht sogar daran interessiert, das Handwerk selbst einmal auszuprobieren. Und, man ist auch eher dazu geneigt, vielleicht den ein oder anderen Euro mehr in die Hand zu nehmen. Da muss man sich den Konsumenten möglicherweise ein Stück weit erziehen. Denn, die Ästhetik ist hier enorm wichtig. Wenn ich den Produzenten und seine Arbeit kenne, nehme ich das Produkt viel bewusster wahr.“
Dem stimmt auch ein Gast des heutigen Abends zu. Diplom Ingenieur Mario Militzer führt eine Firma für Stahltreppen inmitten der thüringischen Kleinstadt Zeulenroda. Er findet: „Das Handwerk in den Städten hat eine Aura. Es gibt Leute, die erkennen, die Wertigkeit dahinter.“ Er verweist auf den Studien, welche den Lebensqualitätsindex von Städten ermitteln: „Städte, mit einem hohen Index, haben noch Handwerk in der Innenstadt. Ich finde es toll, wenn sich Leute kooperativ zusammenfinden. Wo einer ist, fühlt sich der andere wohl. Die Bündelung in einem Objekt oder einem Quartier ist hier enorm wichtig. „Dieses Potential, diese Kreativität… das ist etwas, was Städte häufig unterschätzen“, findet Swen Gottschalk. Und auch Julia Eschment nickt: „Handwerk schafft eine intensivere Bindung zwischen Kunden und Produzenten.“ Die kleine Stadt Apolda liegt nur 20 Kilometer von Jena entfernt und kämpft nun wahrlich nicht mit Raummangel. Zahlreiche Geschäfte stehen hier leer. Dafür fehlt es an Kauf- aber auch mitunter an Kreativkraft. Ihre Frage geht den auch an des Pudels Kern: „Wie schafft man die Brücke, zwischen den Städten, die vielleicht die Kundschaft haben und den Städten, welche die Räume haben?“ Sie erklärt: „In Apolda selbst fehlt die kritische Masse. Früher gab es in jedem Haus in Apolda eine Stickerei. Das verschwindet. Es kommt einfach niemand vorbei.“
Sie wünscht sich dazu „gezielte Förderprogramme, welche direkt die Menschen fördern und nicht nur Maschinen. „Wir brauchen Förderungen für kleine Nischenprodukte und die Menschen, welche diese produzieren. Und, es würde viel helfen, wenn die Betriebe mehr auf junge Menschen setzen, welche in die Fußstapfen treten.“ Dem pflichtet erneut Mario Militzer aus dem Publikum bei: „Das Handwerk hat ein Riesenproblem“, erklärt der Stahlunternehmer. „Uns gehen die Leute aus. Die jungen Leute haben keinen Bock auf Handwerk. Das Image des Handwerks ist verlorengegangen. Es ist verbunden mit Attributen, wie Schmutz, mit Dreck, mit niederen Arbeiten etc.. Dabei ist das wirklich nicht der Fall. Im Handwerk ist Hightech schon längst eingezogen. Handwerker müssen etwas können. Doch das wird schlecht rübergebracht. Die jungen Leute können mit Handwerk in ihrem sozialen Umfeld nicht punkten. Da müssen wir ansetzen. Deswegen müssen wir Handwerk wieder zeigen. Wir müssen den Wert klar machen, so dass sich junge Leute wieder mehr dafür interessieren.“ Diese Wertschätzung für das handwerkliche Produkt beginnt für Julia Eschment schon bei der Ausbildung: „Ich beobachte seit Jahren, dass das schützenswerte Handwerk verloren geht. Es wird immer weniger unterrichtet, alte Techniken gehen verloren.“ Beide sprechen damit einen sensiblen Punkt an, der auch im Publikum für Diskussionen sorgt. So ist auch im Anschluss an den offiziellen Teil noch reichlich Gesprächsstoff gegeben, der den Abend ausklingen lässt.