Es ist heiß im städtischen Sommer. Besonders im Jenaer Kessel. Das spürt wohl jeder, der hier, nach einem sommerlichen Spaziergang, an den bewaldeten Hängen, wieder ins aufgeheißte Herz der Stadt eintaucht. Wie andere Städte ist auch Jena einerseits betroffen vom Klimawandel, anderseits trägt es dazu bei. Denn wo viele Menschen zusammenkommen, wird auch viel gebaut, geheizt und gekühlt. Es wird viel hinein- und hinausgefahren, eingekauft und wieder weggeschmissen. Das Klimaschutz und Stadtentwicklung untrennbar miteinander verbunden sind, rückt mehr und mehr ins Bewusstsein. Doch den Schritt zum persönlichen Engagement gehen nur wenige.
Gemeinsam für eine klimafreundliche Politik
Reinhard Guthke tut genau dies. Und das schon seit Jahren. Der pensionierte Bioinformatiker ist bereits seit Ende der 80er Jahre über die EG Stadtökologie mit diesen Themen beschäftigt. Nach der Wende kam er als parteiloser in den Stadtrat und war dann Aufsichtsratsvorsitzender für Energie und Umwelt. Heute trifft er sich u.a. im StadtLab mit dem Klimaschutzbeirat und dem Runden Tisch Klima und Umwelt. Es ist ein Zusammenschluss von vielen Umweltbewegungen – rund 21 Gruppen, erzählt Guthke. Sie alle diskutieren hier miteinander, entwickeln Pläne für eine klimafreundliche Stadt. Hervorgegangen ist das Ganze 2019. Als auch hier in Jena die Fridays for Future – Bewegung startete und tausende junge Menschen für eine klimafreundlichere Politik demonstrierten. Und als sich in Folge Gruppen wie Scientist for Future und Parents for Future entwickelten. „Damals“, so erinnert sich Reinhard Guthke, „entstand der Wunsch der Jugendlichen, stärker bei der Kommunalpolitik mitzubestimmen. Mit Rederecht und Antragsrecht. Doch das ließ die Kommunalordnung nicht so einfach zu.“ Also erweckte man im September den Runden Tisch Thema Umwelt. Alle zwei Wochen kam man nun zusammen. Jeder der teilnehmen wollte, war willkommen. Parallel gründete man einen Klimaschutzbeirat, der es Menschen unter 30 Jahren nun auch rechtlich ermöglichte, über drei Delegierte Einfluss auf die Stadtpolitik zu nehmen. „Die Zuarbeit zur Nachhaltigkeitsstrategie war das erste große Werk, welches sich aus der Zusammenkunft des Runden Tisches ergab“, erzählt der ambitionierte Wissenschaftler. Es folgte die Mitwirkung am Klimaaktionsplan 2022. Dieser hat zum Ziel, Jena bis 2035 klimaneutral zu machen.
Veränderungen brauchen einen langen Atem
Es sind die klassischen drei Gebiete, welche hier seit der Gründung wortwörtlich auf den runden Tisch kommen: Strom, Wärme, Verkehr. Nun folgt seit rund einem halben Jahr mit dem großen Bereich der Themen Wachstum & Bauen der nächste große Gang. Man möchte weitere Flächenversiegelungen vermeiden, den Verkehr in der Innenstadt begrenzen, Stadt auch außerhalb vom Thema Shopping denken – lebenswerter machen. Es sind große Vorhaben, die einen langen Atem, viel Idealismus und mitunter ein dickes Fell erfordern. Reinhard Guthke ist da mit seinen 72 Jahren pragmatisch: „In meinem Alter hat man schon so viele Niederlagen hinter sich gebracht. Mich kann hier nichts mehr so schnell umhauen. Ich bin zäh. Ich beschäftige mich seit 35 Jahren mit dem Thema. Ich weiß, dass manche Themen auch mal zehn Jahre brauchen. Das kann ich natürlich keinem Jugendlichen erzählen. Da ist der womöglich gar nicht mehr in Jena. Das ist der Vorteil des Alters. Ich hab mein halbes Leben in der DDR zugebracht. Da durfte man wesentliche Themen gar nicht ansprechen, ohne Schaden zu nehmen. Meine Arbeit in der Friedensbewegung war da immer eine Gratwanderung, bei der man jederzeit im Knast landen konnte. Da war nicht nur die Frage: Habe ich Erfolg oder nicht? Nein! Da hat es manchen die ganze Familie zerschmettert. Das war eine ganz andere Ebene der Gefährdung. Ich muss keine Angst mehr davor haben, abgeführt zu werden, weil ich etwas politisch bewegen will. Solange ich mich im Rahmen der demokratischen Möglichkeiten bewege, sehe ich keine Gefährdung. Misserfolge hauen mich nicht mehr um. Da müssen sich Jüngere erst dran gewöhnen. Und auch das erleben auch wir als Runder Tisch. Die Mehrheit unserer Stadtratsbeschlüsse ist nicht durchgekommen. Beispielsweise die autoärmere Innenstadt oder die Nutzung der Bioenergie, welche letztlich politisch so aufgeweicht wurde, dass sie mit unserem Antrag nicht mehr viel zu tun hatte. Auch die Verhinderung der Osttangente ist uns nicht gelungen. Das ist mitunter schwer für die Jüngeren. Aber auch dafür ist der Runde Tisch da, um uns hier auszutauschen. Wir sind altersmäßig gut gemischt. Das hilft.“