Was ist das doch für eine schöne, neue Welt? Da liegt man abends auf seiner Couch. Auf dem Schoß lagert das – mit der großen, weiten Welt verbundene – Endgerät und schon geht’s los auf Shoppingtour. Schnell die neuen Turnschuhe, den Roman aus der Lieblings-Krimireihe und… Ach wie schön! Noch das hübsche Kuschelkissen. Ein Klick, die Kreditkarte ist schon hinterlegt und der Postweg lässt sich live nachverfolgen. Gut… Ist man dann mal in der Stadt, ist es schon schön, wenn es noch so ein paar Geschäfte gibt. Schon allein fürs Gefühl. So zum Bummeln. Wirkt sonst ja sonst schon ein wenig leblos. Doch kann dieser Spagat zwischen digitaler und realer Welt überhaupt gelingen? Welche Chancen und Probleme hält die digitale Welt für unsere Innenstädte bereit?
Björn Braunschweig forscht am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Universität Jena u. a. zum Thema Stadtentwicklung. In seiner Arbeit sieht er die deutschen Innenstädte in einer Polykrise – sprich: Diese sehen sich gleich mit mehreren schwierigen Ereignissen und Entwicklungen konfrontiert. Eine der größten Schwierigkeiten ist seit Jahren der Onlinehandel – gepaart mit dem Lockdown zur Coronazeit, welcher diesen Trend noch mehr pushte. Denn spätestens jetzt war wohl auch der letzte hartnäckige Ladenkäufer dazu gezwungen, sich mit den Verkaufsplattformen des World Wide Web auseinanderzusetzen.
Preis der Einkaufsware spielt eine große Rolle
Die Studien von Björn Braunschweig zu diesem Thema zeigen allerdings auch, dass nicht alle stationären Verkaufsartikel gleichermaßen vom Onlineboom betroffen sind. „Besonders hochpreisige Dinge, die sehr lange im Haushalt verweilen, und Dinge des täglichen Bedarfs wie Drogerieartikel und Lebensmittel werden nach wie vor gern im Laden vor Ort gekauft. Bei einigen Gütern wie Schmuck hält es sich dagegen die Waage. Während sehr wertiger Schmuck eher stationär gekauft wird, hat Modeschmuck wiederum online seinen großen Markt. Ja und dann gibt es dann noch die ganz großen Verlierer im Rennen ‚online‘ gegen ‚stationär‘. „Elektromärkte zum Beispiel“, berichtet der Geograph aus den Ergebnissen einer Passantenbefragung in der Jenaer Innenstadt. „Diese sind in den letzten Jahren immer mehr aus dem Stadtbild verschwunden.“ Hier sieht er ganz besonders den Faktor des möglichen Vergleichs im Internet als Hauptursache. Mal schnell die Bewertungen durchgeschaut, mal schnell den Artikelnamen ins Vergleichsportal kopiert und schon haben wir das vermeintlich beste Angebot.
„Überhaupt spielt der Preis eine große Rolle. Stationäre Läden, welche ihre Ware auch im Internet anbieten, treten damit natürlich gleichzeitig in den Onlinewettbewerb. Dieser Wettbewerb ist dann nicht mehr nur fußläufig beschränkt, sondern eben global. Das Risiko ist groß, dass der Käufer sagt: ‚Das Angebot hier ist zwar schön und mir gefällt das alles. Aber es ist mir hier zu teuer – da schau ich doch mal, wo es das günstiger gibt.‘“ Das Buhlen um Kunden in der digitalen Welt ist für den stationären Einzelhandel also ein zweischneidiges Schwert.
Multichanneling – Lösung für das Problem?
„Das haben wir auch bei unseren Studien innerhalb Jenas gesehen, wenn wir uns mit hier ansässigen Firmen unterhalten haben. Multichanneling – also die Vermarktung über mehrere Systeme – wird zwar als extrem wichtig angesehen, aber nur wenig gemacht.“ Björn Braunschweig, der sich aktuell auch mit den Verbindungen von Musik- und Finanzindustrie beschäftigt, sieht hier Parallelen. „In der Musikindustrie kann man nicht arbeiten und berühmt werden, ohne dass man auf Plattformen wie Spotify vertreten ist. Gleichzeitig aber weiß man als Künstler:in, dass man sich damit in einen Wettbewerb begibt, wo man eigentlich kaum gewinnen kann. Regionale Onlineplattformen haben dagegen häufig ein Sichtbarkeitsproblem. Da ist es oft der einfachere Weg eine überregionale, globale Plattform zu verwenden, um eine bestimmte Zielgruppe zu erreichen. Denn jede Zielgruppe hat ihre eigene Plattform, was es für die Händler noch einmal schwieriger macht.“
Mit welchen Herausforderungen Innenstädte derzeit und in den kommenden Jahren noch zu kämpfen haben und ob Jenas Innenstadt eher Verweil- oder Einzelhandelsstandort ist, ist im 2. Teil des Blogs „Die Polykrise der Innenstädte – ein Gespräch mit Björn Braunschweig“ zu lesen.