Die Polykrise der Innenstädte (3)

Ein Gespräch mit Björn Braunschweig, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Universität Jena.

Suche nach Durchmischung und bezahlbare Mieten

Ob der Wrangelkiez in Berlin Kreuzberg, die Reeperbahn in Hamburg oder die Neustadt in Dresden – es sind längst nicht die prunkvollen Altstädte mit ihren fürstlich, güldenen Bauten oder die Verkaufsketten bestimmenden Shoppingmeilen, welche die Must-See-Listen der Reiseführer anführen. Die Suche nach widerständiger Subkultur und innovativer Handwerkskunst, nach kleinen Manufakturen und diesem einen ganz besonderen Café zieht die Menschen vielmehr in die Kieze der Städte. Weg vom Zentrum. Dahin, wo die Mieten noch bezahlbar sind. Wo die soziale Durchmischung überall sichtbare Spuren zeigt und wo noch Raum für Ideen ist.

 

Starke Konzentration auf die Innenstadt in Jena

Björn Braunschweig, Experte für das Thema Stadtentwicklung an der Uni Jena, stellt fest, dass Jena jedoch etwas anders strukturiert ist: „Jena hat eine starke Konzentration auf das Zentrum. Im Gegensatz zu anderen Städten gibt es hier kaum so etwas wie Stadtteilzentren, in denen sich – auch durch niedrigere Mieten – experimentierfreudige Läden ausprobieren können. Wenn ich in Jena etwas brauche, muss ich in die Innenstadt.“ Das macht es gleichzeitig auch schwer, dass sich bestimmte Kiez- oder Quartiersidentitäten herausbilden.

Das ist Nachteil und Vorteil zugleich. „So sehen wir im Jenaer Zentrum eine hohe soziale Durchmischung, welche in anderen Städten durchaus seltener anzutreffen ist. In anderen Städten gibt es Teile der Bevölkerung, die der Innenstadt abgeschworen haben. Da hört man dann auch mal: ‚Ich geh doch nicht in die Innenstadt. Da gibt’s doch nur Ketten.‘“ So beschränkt sich selbst das gastronomische Angebot häufig auf McDonald‘s, Starbucks und Burger King oder sehr breit angelegte bürgerliche Küche und den vermeintlichen Szeneladen. „In Jena ist zwar das Angebot im direkten Zentrum wesentlich breiter, dafür fehlt mitunter der Wille in die Stadtteile zu gehen.“ „Andererseits“, so der Wissenschaftler, „ist es natürlich auch in Jena schwierig die Innenstadt als Anziehungspunkt zu erhalten, wenn die Mieten sehr hoch sind und Läden, welche in ihren Konzepten experimentierfreudiger sind, dadurch seltener eine Chance bekommen.“

 

Jena braucht Zuzug

„Touristisch“, so Björn Braunschweigs Fazit, „steht Jena wiederum ganz gut da. Durch die großen Firmen, die Uni und die Hochschule haben wir, für die Größe der Stadt, einen relativ hohen Anteil an Tourist:innen. Dabei ist ‚Tourismus‘ hier breiter zu verstehen. Wir reden in Jena zumeist von Arbeitstourist:innen und weniger von Sightseeing-Tourist:innen. Die Zahlen sind aber dennoch relativ hoch, wovon die Stadt natürlich auch profitiert.“ Doch auch in diesem Punkt steht Jena, wie viele andere deutsche Städte, in den kommenden Jahren immer mehr vor der Problematik des Fachkräftemangels. Björn Braunschweig kommt daher zu dem Schluss: „Wir brauchen den Zuzug, um die Produktivität halten zu können. Tatsächlich können wir oft die Studierenden, welche hier ausgebildet worden sind, nicht halten. Das betrifft insbesondere die Bachelorstudent:innen. Es fehlt in Jena an günstigem Raum und Platz, um sich nach dem Studium entfalten zu können. Das ist natürlich ein selbstverstärkender Effekt, denn gehen meine Kommiliton:innen, bricht auch das soziale Netz, welches ich mir aufgebaut habe, zusammen. Und dies wiederum ist ein Hauptgrund für Studienabbruch und Umzug.“

Und keineswegs zuletzt sieht Björn Braunschweig auch im Klimawandel eine große Aufgabe für deutsche Innenstädte: „Kaum eine deutsche Innenstadt ist bislang darauf vorbereitet, dauerhaft über 40 Grad Plus auszuhalten. Themen wie Beschattung, Trinkbrunnen, Aufenthaltsmöglichkeiten, wo ich nicht zum Konsum gezwungen werde oder eine Gestaltung, die Hitzeeffekte abmildert und nicht aufgrund von Asphaltierung oder Farbgebung verstärkt“ – all das sind Punkte, die auch die Agenda der Stadtentwicklung Jenas in den nächsten Jahren und Jahrzehnten füllen werden.