Die Polykrise der Innenstädte (2)

Ein Gespräch mit Björn Braunschweig, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Universität Jena.

Die Innenstadt zum Verweilen

So ein Bummel durch die Innenstadt, das ist doch was. Mal schauen, was es so für besondere Läden gibt, neue Trends entdecken und bei der Manufaktur noch ein Geschenk besorgen und dann… nett einen Kaffee trinken. Oder ein Eis essen. Oder das neue Restaurant ausprobieren…

Björn Braunschweig, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie in Jena hat sich jahrelang mit Thema Stadtentwicklung beschäftigt. In der Entwicklung von Innenstädten sieht er einen deutlichen Trend: „In verschiedensten Befragungen kommt klar zum Ausdruck, dass Gastronomie und spezialisierter Einzelhandel den Menschen weiterhin wichtig sind. Die von uns Interviewten gaben beispielsweise an, dass sie sich weniger Fastfoodketten wünschen. Stattdessen werden häufig eine größere Auswahl an Restaurants und Cafés als wünschenswert angesehen.“ Doch Konsum ist nur ein Teil der Innenstadt. „Es geht den meisten tatsächlich eher ums Verweilen. Innenstädte werden mehr als Treffpunkt gesehen, weniger in ihrer Funktion als Einzelhandelsstandort.“, fährt der Geograph fort. „Wobei beides natürlich auch Hand in Hand geht. Aber eine gut geplante Innenstadt lebt eindeutig auch davon, dass die Aufenthaltsqualität hoch ist. Da sind dann beispielsweise Grünflächen, ein vielfältiges gastronomisches Angebot oder auch Kulturveranstaltungen wichtig.“

 

Innenstädte ähneln sich immer mehr

Doch diese Vielfalt hat ihren Preis. „Man muss natürlich über eine bestimmte kritische Masse hinauskommen, was Personenzahl und Kaufkraft angeht. Erst dann habe ich auch einen recht breit aufgestellten Handel.“ Wichtig und problematisch zugleich, so Björn Braunschweig, sind hier natürlich bestimmte Ketten und große Einkaufshäuser. „Einerseits sind diese als Frequenzbringer wichtig. Immerhin bringen sie Laufkundschaft und damit auch Kaufkraft für die umliegenden Geschäfte. Doch andererseits führen sie zu einem weiteren Problem von Innenstädten. Denn diese ähneln sich dadurch immer mehr. Was die Geschäfte angeht, sieht die Innenstadt einer Großstadt mittlerweile häufig aus wie die einer anderen. Das liegt natürlich auch daran, dass die Lagen im Stadtzentrum stärker frequentiert sind und entsprechend hohe Mieten fällig werden. Diese Mieten können sich zunehmend aber nur noch große Ketten leisten. Dabei sind manche hochpreisige Läden hierbei nur noch aus Imagegründen mit einer Filiale präsent. Es geht darum, gesehen zu werden und um als Firma im Portfolio zu vermerken, dass man in dieser oder jenen angesagten Stadt an einem bestimmten Ort vertreten ist.“

Viele Innenstädte kämpfen zudem mit einer hausgemachten Problematik: Einkaufszentren. „Das Problem hat sich beispielsweise Leipzig eingekauft. Hier gab es in der Vergangenheit Studien, die gezeigt haben, dass zum Beispiel die ‚Höfe am Brühl‘ die Kunden quasi aus der restlichen Innenstadt wegziehen. Folglich gibt es in der Innenstadt fast nur noch große Ketten – mit ganz wenigen Ausnahmen. Meist sind diese Ausnahmen dann Läden, welche eine ganz spezielle Nische bedienen. Auch in Jena ist die Trennung zwischen Einkaufszentrum und Innenstadt zu beobachten“, erklärt der Wissenschaftler.

 

Verweilbereich in Jena

In einer Kartierung, die der Geograph in diesem Semester mit seinen Studierenden durchführte, zeigt sich auch für Jena eine gewisse Trennung von Einkaufsorten und Verweilbereichen. Ein typisches Exempel ist für ihn der Marktplatz: „Einmal ums Carree kann man sagen: Hier gibt es fast ausnahmslos gastronomische Angebote. Das ist für mich beispielhaft für die Innenstadt. Das ist insofern schön, als dass die Innenstadt an diesen Stellen sehr belebt ist. Zumindest in der Semesterzeit, wenn Student:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen vor Ort sind. Ein anderes Bild zeigt sich, wenn diese nicht da sind. Dann ist die Innenstadt deutlich leerer. Über diese Trockenzeit müssen die Läden in der Innenstadt hinwegkommen. Denn wenn die Menschen für mehrere Monate fehlen, fehlt in der Zeit natürlich auch deren Kaufkraft.“

Was Fachkräftemangel, Klimakrise oder hohe Mieten für einen Einfluss auf die Innenstädte haben, lesen Sie in Teil 3 der Reihe „Die Polykrise der Innenstädte – ein Gespräch mit Björn Braunschweig“.